Der Umbra-Komponist im Porträt
Der Umbra-Komponist im Porträt
OBERWALLIS | Im September wird es im Theater La Poste in Visp zu einer Welturaufführung kommen. Mit «Umbra» wird die grösste Musical-Produktion präsentiert, die das Wallis je gesehen hat. Da stellt sich die Frage: Wer ist der Kopf hinter diesem Riesenspektakel?
von NATHALIE BENELLI
Foto: WB/Andrea Soltermann
«Umbra» ist ein Projekt der Superlative. Allein das Budget von 575 000 Franken lässt aufhorchen. Über 200 Personen sind aufgeboten, damit die Premiere am 6. September über die Bühne gehen kann. 35 Darstellerinnen und Darsteller agieren auf den Brettern, die die Welt bedeuten, und 24 Musikerinnen und Musiker spielen im Orchester. Es sind fünf Aufführungen geplant. 600 Zuschauerinnen und Zuschauer fasst das Theater La Poste pro Abend. 80% der Tickets sind bereits verkauft – und das mehr als ein halbes Jahr vor dem Beginn des Spektakels. Für die «Umbra»-Aufführungen werden sogar eigens neue Musikinstrumente gebaut. Es wird Software und Bühnentechnik eingesetzt, wie sie im Wallis noch nie zur Anwendung kam.
Wie gemacht für das Showbusiness
Fast märchenhaft klingt die Entstehungsgeschichte des Musicals. Sie begann am Schreibtisch des 13jährigen Raban Brunner in Eischoll. Sieben Jahre später treffen wir das Multitalent und den Kopf hinter der Riesenproduktion. Die Begegnung mit Raban Brunner weckt einen Verdacht: Irgendetwas läuft schief bei der Talentvergabe. Gerecht kann es da nicht zugehen. Der 20Jährige ist ein begnadeter Komponist. Er spielt Klavier und Orgel, als hätte er in seinem Leben kaum etwas anderes gemacht. Er besitzt Organisationstalent, weiss Menschen zu motivieren und spricht über sein Projekt wie ein Medienpro – absolut klar, fokussiert. Dabei strahlt er eine jugendliche Natürlichkeit aus. Ihm würde man als Kumpel sogar sein Bankkonto anvertrauen. Am Musical «Umbra» schrieb er sieben Jahre lang neben der Schule. Trotzdem schaffte er die Matura mit mehr als guten Leistungen. Zu allem Überfluss hat er den Vorteil der Ansehnlichkeit. Das ist ein junger Mann, wie gemacht für das Showbusiness.
Raban ist der Sohn von Gabriela und Hermann Brunner. Er ist das Nesthäkchen der Familie. Seine Brüder Aaron und Lukas sind 17 und 16 Jahre älter als er. Seine Schwester Sarah, Organistin und Chorleiterin, 14 Jahre älter. «Meine Familie ist sehr kulturaffin. Als ich vier Jahre alt war, begann mich meine Mutter am Klavier zu unterrichten», erzählt Raban Brunner. Zu den Familienaktivitäten gehörte auch ein musikalisches Rätselraten. «Unsere Eltern hörten viel klassische Musik. Wir Kinder versuchten dann herauszufinden, welcher Komponist die Werke geschrieben hatte.» Heute sei er froh, nicht nur mit Pop und Charts-Musik aufgewachsen zu sein: «Die klassische Musik ist die Grundlage von allem.»
Als Orientierungsschüler fasste er einen Plan: Er wollte ein Musical schreiben. Sieben Jahre steckte er in die Umsetzung des Vorhabens; er nutzte jede freie Minute, um daran zu arbeiten. «Klar ging ich auch mit Kollegen manchmal nach der Schule etwas trinken. An den Wochenenden hingegen wussten alle, dass ich an meinem grossen Projekt arbeite», sagt der 20Jährige. Die Frage, ob er denn nie das Gefühl habe, dadurch etwaszu verpassen, verneint er. «Ich weiss nicht, was die heutigen Jugendlichen in ihrer Freizeit so machen. Aber ich habe noch nie eine NetflixSerie gesehen. Ich wüsste nicht, wann ich das letzte Mal länger Fernsehen geschaut habe.» Lachend ergänzt Raban Brunner: «Meine Freundin Naomi und die Schule nahmen in den letzten Jahren ein bisschen Zeit in Anspruch. Ansonsten nutze ich praktisch die gesamte Freizeit für das Musical ‹Umbra›.»
Zugang für ein breiteres Publikum
Beim Thema für «Umbra» ging er von einer eigenen Erfahrung aus. «Diskussionen um Gemeindefusionen verfolgte ich mit Interesse. Aber auch bei anderen Zusammenschlüssen stehen immer dieselben Themen im Raum: Was gewinnt man? Was geht verloren? Was passiert mit der Identität? In ‹Umbra – The Musical› erzähle ich, ohne Wertung, die Geschichte eines Dorfes, das gegen sich selber kämpft. Dazu kommt das tragische Schicksal eines nie gelebten Lebens», erklärt Raban Brunner die Handlung. Die Begeisterung für das Genre Musical beschreibt der Eischler so: «Das Musical kann philosophische und moralische Themen einem viel breiteren Publikum zugänglich machen, als es das Theater kann. Ein Musical ist weniger elitär und dadurch viel leichter zugänglich. Es ist eine eigene Kunstform und viel mehr als nur Theater mit Tanz und Musik.» Natürlich seien die Geschichten immer ein wenig überzeichnet, emotional anrührend und die Musik eingängig. Aber dadurch spreche das Musical einfach ein grösseres Publikum an.
Oberwalliser Produktion
Mit «Umbra – The Musical» setzt Raban Brunner bewusst auf eine regionale Produktion. Die Story, die Musik, die Lyrics stammen von ihm. Administratoren, Techniker, Regisseurin, Choreografin und Darstellende wurden allesamt im Oberwallis rekrutiert. Raban Brunner glaubt, dass diese regionale Anbindung auch bei den Sponsoren ein grosses Plus darstellte. Wer weiss, wie viele Kulturschaffende im Wallis um finanzielle Unterstützungen kämpfen, staunt trotzdem, dass ein Budget von 575 000 Franken realisierbar scheint. «Bei vielen Kulturproduktionen müssen sich die Kulturschaffenden um die Mittelbeschaffung kümmern. Das haben wir strikt getrennt. Mein Kollege Emmanuel Amacker erledigt die administrativen Belange. So habe ich den Rücken frei für die künstlerische Umsetzung», erklärt der Komponist das Erfolgskonzept.
Was als Freizeitbeschäftigung eines Orientierungsschülers begann, kristallisiert sich nun als Grundstein einer Künstlerkarriere heraus. Nach der Matura überlegte Raban Brunner, welches Studium er in Angriff nehmen sollte. Seine Freundin Naomi Voeten bestärkte ihn darin, doch zu mindest die Aufnahmeprüfung an einigen der besten Musikakademien der Welt für Komposition für Film, Musical und Multimedia in Angriff zu nehmen und sich zu bewerben. Musik sei schliesslich seine Bestimmung, betonte sie hartnäckig. «Ich dachte, okay, versuchen kann ich es.» Er bewarb sich in Boston, New York und London. Er glaubte jedoch nicht daran, dass er sich gegen die weltweite Konkurrenz durchsetzen könnte. «Mein Plan war folgender: Sollten mich die Musikakademien ablehnen, nähme ich mit ruhigem Gewissen an der ETH das ElektroingenieurStudium auf. In 20 Jahren würde ich dann meinen Kindern erzählen: Ich habe es versucht. Aber es hat nicht sollen sein.» Aber wie so oft im Leben kam alles anders als gedacht.
Berklee College of Music
Weltweit bewerben sich 2000 Anwärterinnen und Anwärter für einen Studienplatz am Berklee College of Music in Boston. Die Prüfungen werden in China und in verschiedenen amerikanischen Grossstädten abgenommen. Einen ganzen Tag lang dauerte die Aufnahmeprüfung in Boston. Elf von 2000 Bewerbern erhielten im vergangenen September einen positiven Bescheid für in die gewünschte Klasse von Raban Brunner. Raban Brunner gehört zu den Auserwählten. «Nur schon die Aufnahmebestätigung öffnete mir viele Türen. Als ich am Broadway am Bühneneingang Kontakt mit Musical Komponisten und musikalischen Leitern aufnehmen wollte, wimmelte man mich ab. Ein kurzes Vorweisen des Aufnahmepapiers veränderte die Situation völlig. Plötzlich kam ich ganz unkompliziert zu Terminen.» Diese Broadway-Kontakte nutzte Raban Brunner sogleich, um die Partituren zu «Umbra» zu optimieren. «So fliesst das Knowhow der erfahrenen Musical-Komponisten direkt in meine Produktion ein.» Das Studium an der renommierten Musikakademie in Boston hat nur einen Haken – es kostet 250 000 Dollar. Raban Brunner hofft, den Betrag mithilfe von Stipendien oder Stiftungen zusammenzu bringen. Sollten alle Stricke reissen, würde er ein Studium an der ETH beginnen. «Das Studium in Amerika werde ich zu 99 % machen. Wenn ich nicht das ganze Geld zusammenbe komme, nehme ich einen Kredit auf. Aber nach Gesprächen am Broadway wurde mir klar, dass ich es ein ganzes Leben lang bereuen würde, diese Chance nicht wahrzunehmen. Und ich werde alles daransetzen, dass es nicht am Geld scheitern wird», betont er. Beide Füsse fest auf dem Boden, trägt der 20-Jährige jetzt schon alles Mögliche dazu bei, dass es nicht so weit kommt. Nach der Rekrutenschule nahm er einen 60%-Job in der Lonza an. Er spart jeden Rappen für sein Schulgeld. Neben seinen vielen Aufgaben für «Umbra» bewältigt er so ein riesiges Arbeitspensum. Die Nächte sind manchmal kurz. Seine Motivation ist ungebrochen. Wenn im Leben des Talentierten weiterhin alles nach Plan läuft, wird er im Januar 2020 das Studium in Boston beginnen. Vier Jahre später hätte er dann einen Bachelor in Komposition für Film, Theater und Multimedia. Dazu käme ein Abschluss in der Leitung von Musical-Produktionen. Unwahrscheinlich, dass er dann wieder im Oberwallis anzutreffen wäre. Wer sein Werk se hen und hören will, sollte sich spu ten, um eines der letzten Tickets für die Aufführungen im September zu ergattern.